Kulturappell vom Juni 2021
Traumprojekt Musik-Campus trifft auf Realität
Erst fachlich prüfen – dann politisch entscheiden!
Als münstersche Initiative – parteiübergreifend, sachkundig, engagiert für das Kulturleben in unserer Stadt – veröffentlichen wir nach gemeinsamer, intensiver Beschäftigung mit dem Thema „Musik-Campus“ folgenden Appell an die politisch Verantwortlichen sowie letztlich die gesamte Stadtgesellschaft.
Wir möchten uns beteiligen an der Weiterentwicklung eines zukunftsfähigen Musik- und Kulturlebens in Münster. Wir stehen dabei angesichts der vorgesehenen stadtplanerischen Veränderungen wie „Musik-Campus“ und „Stadtteilentwicklungskonzept Martiniviertel“ für eine konzeptionell offene Bürgerbeteiligung. Wir mischen uns ein, weil das von der Stadt und der Universität bereits angeschobene Projekt „Musik-Campus“ mit Gesamtkosten von knapp 300 Mio. € nach der Pandemie finanziell vermutlich schwer realisierbar ist.
Was spricht gegen das Konzept Musik-Campus?
- Die Koalitionsfraktionen sprechen in ihrem Vertrag vom „Vorbehalt der Finan-zierbarkeit“ und von „konzeptioneller Offenheit“. Die ungeklärte Finanzierung macht das Projekt fraglich. Und von konzeptioneller Offenheit ist bisher nichts zu erkennen. Das Konzept ist, wegen seines Zustandekommens als „Wunschkonzert“ der drei Institutionen, strukturell völlig überfrachtet. Organisatorisch sind, wegen der gemischten Finanzierung von Bau und Betrieb, der geteilten Trägerschaft und der ungeklärten Direktionsbefugnisse zwischen Land (Universität) und Stadt ein erheblicher zusätzlicher Verwaltungsaufwand und damit hohe Reibungsverluste zu erwarten. Der Dekan der Musikhochschule spricht in einem Zeitungsinterview im Hinblick auf die erforderliche Koordination unter den Institutionen nicht ohne Grund von einem „gigantischen Prozess“.
- Partizipation gibt es bei diesem Projekt nur auf dem Papier. Statt ein Musikhaus für Alle und mit Allen zu konzipieren, geht es wohl eher um den Traum einiger Weniger von einem „Jahrhundertprojekt“, so die offizielle Webseite. Viele Münsteraner*innen werden sich noch an 2008 erinnern, als ein Bürger*innenbegehren alle Pläne für die Musikhalle auf dem Schlossplatz zu Fall brachte. Ursache: fehlende Partizipation!
Es klingt verführerisch: alle musikalischen Institutionen in Münster wollen oder sollen in einem perfekten, autarken Kosmos zusammenarbeiten. Wer ist da repräsentativ gefragt worden? Die Musikschüler*innen? Ihre Eltern? Die Studierenden, die Orchestermusiker*innen? Die „freie Szene“? Die Kulturveranstalter*innen? Das Publikum? Nein, im Wesentlichen haben sich der Oberbürgermeister und der Rektor der Universität mit den Leitungsebenen der Institutionen darüber verständigt. Was weite Teile der Betroffenen darüber denken, ist offenbar ohne Bedeutung. - Was steckt hinter den vielbeschworenen Synergien dieses Modells? Da ist viel von fruchtbarer Begegnung von Profis und Laien und von Zusammenarbeit die Rede. Aber was haben die drei Institutionen bei genauem Hinsehen wirklich miteinander zu tun? Die Musikschule, an der vorwiegend nachmittags unterrichtet wird, das Sinfonie-orchester, das normalerweise nur morgens und abends arbeitet, werden sich nicht begegnen. Die Studierenden der Musikhochschule und die Musikschüler*innen haben ebenfalls so gut wie keine inhaltlichen Berührungspunkte, die Studierenden und das Sinfonieorchester nur in persönlichen Einzelfällen. Nahezu alle siebzehn im Metrum-Gutachten erwähnten Kooperationen sind seit Jahren praktizierter Alltag. Die allermeisten der im letzten Moment noch herangezogenen professionellen freien Gruppen haben ohnehin mit keiner der drei Institutionen größere Gemeinsamkeiten, ebenso wenig die vielen Laienensembles.
Die musikalischen Ziele der unterschiedlichen Akteur*innen, die Arbeitsweisen und Struk-turen, ihre sinnvollen Verankerungen an den unterschiedlichsten Kulturorten der Stadt und auch die anvisierten Publikumsschichten sind so heterogen und vielfältig wie die Musik selbst. Das Konzept des Musik-Campus ist ein Experiment mit fraglichem Ausgang und nicht geringem Risiko.
- Das betrifft auch die Idee eines universitären Kongresszentrums, das mit seinen höchst speziellen Anforderungen für Bau und Betrieb des MUSIK-Campus einen erheblichen strukturellen und architektonischen Ballast bedeutet und dem Musikbetrieb entgegensteht. Während der angenommenen 55 Belegtage für Kongresse kann ein Konzertleben allenfalls sehr eingeschränkt stattfinden, denn die gesamte gemeinsame Infrastruktur wäre ganztägig vom Konferenzbetrieb (Kongress) inklusive der werbenden Firmenstände im Foyer belegt. Gleichzeitig ist nach den pandemiebedingten digitalen Erfahrungen mit Tagungen und Konferenzen (Kongressen) und der Neuaufstellung des MCC (Halle Münsterland) für hybride Veranstaltungen der Raumbedarf neu zu eruieren.
- Die Coronapandemie hat Folgen für die Musikausbildung und das Musikleben: Der Verband deutscher Musikschulen (VdM) verzeichnet sinkende Anmeldezahlen bei 68 % aller Musikschulen in Deutschland und spricht von „verlorenen Jahrgängen“. Musikhochschulen melden ebenfalls alarmierend sinkende Zahlen von Studienbewerber*innen. Bundesweite Studien berichten von einem beträchtlichen Chorsterben, das mittelfristig kaum aufzufangen sein dürfte. Das Musik-Campusprojekt ist vor zwei Jahren eher mit Erwartungen an Zuwächse in den Bereichen der Musikausbildung und des Publikums konzipiert worden. Es ist dringend notwendig, aktuelle Zahlen und belastbare Trends für Münster zu erheben und gegebenenfalls die Planungen anzupassen.
- Erheblichen Raumbedarf gibt es jedoch in jedem Fall für alle Musikakteur*innen, institutionelle wie freie! Die seit Jahren prekäre räumliche Situation der Institutionen ist unstrittig und muss dringend gelöst werden! Und die große und vielfältige freie Szene? Zunächst hatten die Planer*innen des Musik-Campus sie völlig vergessen. Gegen die dann verbliebene Feigenblattrolle im politischen Spiel hat sich moNOkultur, organisatorischer Zusammenschluss der professionellen freien Kulturszene, in einem Positionspapier an die Ratsfraktionen im Januar 2020 entschieden gewehrt. Für die große Mehrzahl der Musikgruppen und Einzelkünstler*innen geht das Projekt Musik-Campus völlig an ihren Bedürfnissen und Interessen vorbei. Daher erstellt eine Initiativgruppe von moNOkultur gerade ein zeitgemäßes Musikförderkonzept für Münster. Es verlangt eine angemessene Finanzierung und logistische Unterstützung des Sektors und steht kurz vor seiner Antragsreife: in einem guten Moment, um ins Gedächtnis zu rufen, dass auf die Musikinstitutionen in der Stadt gerade Millionen von Euro herunterregnen sollen. Was bleibt für die freie Szene?
Was schlagen wir vor?
Zukunftsfähig wäre eine Lösung, die den spezifischen Ansprüchen der musikalischen Akteur*innen der Stadt und ihrem Publikum gerecht wird und keine zusätzliche Generalintendanz erfordert. Wir favorisieren unterschiedliche Raum- und Architekturkonzepte an verschiedenen reizvollen Standorten der Stadt, in überschaubarer und bewährter Verantwortung der Träger (Stadt bzw. Universität) sowie ihrer jeweiligen Nutzer*innen. Die Weiterentwicklung einer lebendigen Stadt der Zukunft wäre automatisch mit im Blick. Ideen, die ernsthaft geprüft werden sollten:- Die Musikhochschule könnte am Leonardocampus oder an der Hittorfstraße in sinnvoller Nähe zu Musikpädagogik, Musikwissenschaft und Kunstakademie ein wunderbares Gebäude erhalten, das die derzeitigen großen Defizite mit verstreuten Studienorten in der Stadt und einem fehlenden Konzertsaal für 300 Zuhörende behebt. Das Geld für diesen Bau – und nur für diesen Bau! – hat das Land im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung veranschlagt.
- Die Westfälische Schule für Musik mit ihrer idealen Lage an der Himmelreichallee könnte ein ergänzendes modernes Gebäude nebenan erhalten, das für die ganz speziellen Bedürfnisse und Perspektiven zeitgemäßer Musikschularbeit konzipiert ist und die aktuelle Raumnot behebt.
- Das Sinfonieorchester könnte in der Innenstadt fußläufig zu seinem Hauptarbeitsort, dem Theater Münster, einen gut klingenden Proben- und Konzertsaal mit 1200 Plätzen bekommen. Das veränderte Verhalten des Konzertpublikums würde berücksichtigt. Veranstaltungen haben heute für viele Menschen einen Event-Charakter: man verabredet sich für den Konzertbesuch und die anschließende Einkehr in die Gastronomie. Deswegen ist die Standortfrage von immenser Bedeutung. Wird ein Haus außerhalb der Innenstadt zur Benutzung des Autos „verführen“? Ist das Musikpublikum bereit, in ein Areal zu kommen, das keinerlei urbanes Ambiente bietet? Selbst die deutschlandweit bekannte Oetkerhalle in Bielefeld ist lange nicht mehr der Publikumsmagnet, der sie über Jahrzehnte war, weil sie dezentral liegt.
- Neben den Bedarfen für Musikinteressierte und -aktive geht es uns auch darum, einen zusätzlichen Magneten für die Innenstadt zu schaffen. In dem neuen Gebäude könnten weitere Kultur- und Bildungseinrichtungen angesiedelt werden. Es könnte zu einem Begegnungszentrum für viele Menschen aller Milieus und zu einem idealen Ort für den politischen, kulturellen und demokratischen Diskurs in der Stadtgesellschaft werden. Unabhängig von kommerziellen Interessen wird ein Raum für Alle geschaffen, sei es auf dem Hörster Parkplatz, in einem großen, umgewidmeten Gebäude oder irgendwo am Schlossplatz. Die beste und mehrheitlich akzeptierte Lösung sollte realisiert werden!
Ohne Moos nix los!
Das 2016 in Bochum eröffnete Musikforum mit 1000 Plätzen wurde von 20.000 Spender*innen mitfinanziert, die 14 Mio. € beigetragen haben.
Weitere 16 Mio. € kamen aus einem europäischen Förderprogramm. Die Stadt Bochum musste daher nur einen geringen Anteil an den Gesamtkosten von 37 Mio. € aufbringen. Die Folgekosten sind moderat und gedeckelt. Eine solche Spendenbereitschaft für den Musikcampus zeichnet sich in Münster nicht ab. Die jetzige Zurückhaltung ist dabei nicht wirklich überraschend: keine Innenstadtlage, kaum Beteiligung der Stadtgesellschaft.
- Stadtverwaltung und Politik versprechen seit Jahren, dass der größere Teil der Kosten des Musik-Campus vom Land NRW und sogar vom Bund getragen wird. Immer wieder war und ist von „Geberkonferenzen“ die Rede. Bis heute gibt es weder belastbare Finanzzusagen aus Düsseldorf oder Berlin noch Aussagen von Rat oder Verwaltung zu finanziellen Obergrenzen für den auf die Stadt entfallenden Anteil.
- Das wichtigste finanzielle Argument gegenüber der hochriskanten Alles-oder-Nichts-Strategie der Campusbefürworter*innen: unser Vorschlag von individuellen und dezentralen Lösungen kann auch eine zeitliche Streckung aushalten und dadurch finanzierbar bleiben. Erst Musikhochschule und Westfälische Schule für Musik und wenn es das Stadtsäckel etwas später wieder erlaubt, der attraktive Konzertsaal an geeigneter Stelle der Innenstadt. Vielleicht sogar zeitgleich, wenn sich ein innovatives Finanzierungsmodell – wie in Bochum – anbietet.
Münster, den 25. Juni 2021
Autor:innen des Appells
Prof. Dr. Klaus Anderbrügge
Gisela Dücker
Prof. Joachim Harder
Anna Hünker
Raimund Köhn
Corinna Schoneberg
Beate Vilhjalmsson