Stadtkultur Münster

Stadthaus IV
Michael Jung schildert die haarsträubende Genese

Die RUMS-Kolumne vom 18. September 2022

Die Kolumne von Michael Jung | Wie Münster fast ein neues Stadthaus bekommen hätte

Briefkopf Kolumnisten Jung

 

Guten Tag,

in den vergangenen Wochen war in Münster wieder ein Drama zu beobachten, das wie unter einem Brennglas all die zentralen Probleme der Stadtpolitik vor Augen führte: Die Geschichte, wie Münster fast ein neues Stadthaus baute und beim Versuch schon 8,3 Millionen versenkte, ist ein Lehrstück dafür, wie es in Münster läuft. Deswegen möchte ich Sie heute mitnehmen auf eine kleine, sicher nicht vollständige Fehleranalyse.

  1. Fehler: Die Verwaltung legt einen falschen Grundsatzbeschluss vor

Für die Ratssitzung am 13. Februar 2019 legte die Verwaltung dem Rat einen Grundsatzbeschluss zur Entscheidung vor: Das Stadthaus 3 am Albersloher Weg solle erweitert werden. Grund dafür sei, dass in den nächsten Jahren 430 Büroarbeitsplätze für die Verwaltung fehlten, die an keinem anderen Standort bereitgestellt werden könnten. Die Stadt beabsichtige außerdem ihre Bürostandorte zu konzentrieren (derzeit 51 Standorte in der Stadt). 

Vor diesem Hintergrund sollten die Stadtwerke, die schon das Stadthaus 3 für die Stadt gebaut hatten, den Auftrag bekommen, hier eine Erweiterung zu planen. Mit diesem Grundsatzbeschluss setzte die Verwaltung den ganzen Prozess schon von Anfang an auf ein falsches Gleis. 

Zu den Zeiten, als in Münster noch gespart werden musste, hatte dieselbe Verwaltung nämlich etwas Interessantes herausgefunden: dass nämlich die von den Stadtwerken der Stadt in Rechnung gestellten Kosten für das Stadthaus 3 dessen Betrieb erheblich teurer machten als die anderen beiden Stadthäuser, die die Stadt selbst besitzt. 

Ein Grund dafür: Die Marge der Stadtwerke, ein anderer: Umsatzsteuern. Vor diesem Hintergrund war die Entscheidung interessant, nun ausgerechnet hier nach demselben Modell erneut zu bauen. Ausgehandelt wurde das alles von zwei Männern: dem kurz vor der Abwahl stehenden Kämmerer und dem Interims-Geschäftsführer der Stadtwerke. 

Beide hatten nur noch kurze Restlaufzeiten im Amt und mussten für die Folgen ihres forschen Vorschlags keine Verantwortung übernehmen. Eine nüchterne Betrachtung des Büromarkts hätte einen anderen Weg nahegelegt. 

Die Bezirksregierung und die Landesverwaltung (Finanzamt) hatten anders geplant: Dort hatte man Bürostandorte in der Innenstadt aufgegeben und Teile der Verwaltung in das kostengünstigere, aber verkehrstechnisch exzellent erschlossene Zentrum Nord verlegt. Mit dem Plan für eine Erweiterung des Stadthauses 3 aber entschied sich die Stadt direkt für den nach dem Bodenwert teuersten denkbaren Bürostandort. 

Wenn man sich nicht vorzeitig auf die Stadtwerke festgelegt hätte, dann hätte am Anfang eine Analyse gestanden, welche Ämter der Stadt Publikumsverkehr haben und welche nicht. Und dann hätte man vielleicht eine Standortkonzeption vorgenommen, die die Ämter ohne Publikumsverkehr an einem neuen Bürostandort in einem weniger prominenten Bereich der Stadt angesiedelt hätte, an dem bezogen auf den Grundstückspreis günstiger hätte gebaut werden können. 

All das aber geschah nicht, weil man unbedingt auf die Stadtwerke setzen wollte und so den Standort Hafen ohne jede Prüfung der Folgekosten einseitig vorentschied. Dazu kam, dass an keiner Stelle das Baukonzept geprüft wurde: Die Stadtwerke wurden einfach als Bauherr gesetzt, alternative Betreiber- oder Errichtungsmodelle wurden nicht einmal geprüft. 

Nahegelegen hätte eine Prüfung, inwieweit eine Errichtung durch die Stadt selbst günstiger wäre (die Umsatzsteuerproblematik mit den Stadtwerken war schon beim Stadthaus 3 Thema gewesen) oder ein schlüsselfertiger Bau durch Private und eine folgende Übernahme durch die Stadt günstiger gewesen wäre: Nicht einmal eine Prüfung war das der Verwaltung wert. Die beiden scheidenden Herren hatten der Stadt so gemeinsam ein dickes Ei ins Nest gelegt. 

  1. Fehler: Die CDU weiß es besser

Im Mai 2019 legte die Verwaltung dem Rat eine Vorlage mit genaueren Einschätzungen vor: Unter anderem enthielt das Papier eine Liste von extern angemieteten Bürostandorten, die im Zuge des Neubaus aufgegeben werden sollten. Das neue Stadthaus sollte jetzt mindestens für 900 Menschen Büroarbeitsplätze schaffen, bei knapp 23.000 Quadratmetern Nutzfläche wollte die Verwaltung mit etwa 4,3 Millionen Euro jährlichen Mietkosten für das neue Stadthaus 3 Millionen Kosten für externe Anmietungen einsparen. 

Das klang einigermaßen plausibel, wenngleich die Alternativen nicht geprüft worden waren. Die Stadtwerke rechneten mit Investitionskosten von 80 bis 100 Millionen Euro. Vielleicht hätte es so noch etwas werden können. Doch dann kam die CDU. 

In ihrer damaligen Koalition mit den Grünen legte die Fraktion einen Änderungsantrag vor, der es in sich hatte: Kernpunkt war, dass das Stadthaus maximal 16.000 Quadratmeter Nutzfläche haben dürfe. Die Gesamtinvestitionssumme wurde mit 60 Millionen gedeckelt (obwohl die Stadt gar nicht investieren, sondern mieten wollte). Insofern bemisst sich die laufende Haushaltsbelastung für die Stadt eben nicht nach der Investitionssumme, sondern nach den laufenden Kosten.

In der Ausschussdebatte konnte die CDU auf Nachfrage nicht erklären, ob die Fläche nun die Flächen für die Tiefgarage beinhaltete oder nicht – aber solche Kleinigkeiten stören bei großen politischen Würfen nur. Mit der Reduzierung der Fläche um ein Drittel zerschoss die CDU nicht nur den Plan, externe teure Anmietungen aufzugeben, sie reduzierte auch die Wirtschaftlichkeit des ganzen Projekts drastisch. 

Scheinbar unter der Flagge der Sparsamkeit segelnd, verfocht sie vor allem die Interessen der privaten externen Vermieter:innen, denen mit einem solchen Neubau die schönen Mietzahlungen der Stadt durch die Lappen gegangen wären. Die Notwendigkeit, bei einem solchen gravierenden Antrag die Frage zu beantworten, welche Ämter denn eigentlich in einem solchermaßen beschnittenen Projekt Platz finden sollten, sah man auch nicht. 

Natürlich hatten die Grünen auch noch schöne Ideen, und so enthielt der Antrag Festlegungen wie die, dass beim Architekturwettbewerb mindestens ein Drittel der Büros aus Münster und Umgebung kommen müssten (Lobbyismus wirkt auch kommunal immer gut), aber vor allem auch die Festlegung, dass wenn schon weniger Arbeitsplätze gebaut werden, dann doch dafür eine Kita zusätzlich. 

Mit diesem Antrag, der mit Mehrheit durchgestimmt wurde, hatte maßgeblich die CDU dafür gesorgt, dass die bisherigen Pläne Makulatur waren. Die Reduzierung des Projekts entsprach einzig den Interessen privater Vermieter:innen, nicht aber denen der Stadt. 

Für die Wirtschaftlichkeit war der Eingriff in die Planung ein Desaster, denn ein höherer und größerer Bau hätte die Fixkosten des Projekts auf weit mehr Nutzfläche verteilt. Der Kostendeckel war, wie so oft bei der CDU, beliebig gegriffen: Im Planungsausschuss hatte man ihn noch bei 50 Millionen Euro angesetzt, in der Ratssitzung waren es dann 60 Millionen Euro. Der Antrag war eine Ohrfeige für die Verwaltung, und er war vor allem komplett unseriös, aber er wurde beschlossen. 

  1. Fehler: Es geht noch weiter

Im März 2020 legte die Verwaltung dem Rat dann den Beschlussvorschlag zur Auslobung des Architekturwettbewerbs vor – auf der Grundlage des im Vorjahr reduzierten Raumprogramms hatte man detailliert aufgelistet, welche Ämter und Stellen ihre Arbeitsplätze im kleineren neuen Stadthaus finden sollten. Eine gute Gelegenheit für neue politische Eingriffe. 

CDU und Grüne hatten sich nicht nur schöne Gedanken gemacht, dass im Sommer eine „Behaglichkeitsgrenze“ von 26 Grad in den Büros eingehalten werden sollte – hier schlug die grüne Vorliebe zur mikroskopisch genauen Detailsteuerung durch –, sondern sie legten auch noch fest, welche namentlich genannten Architekten:innen zusätzlich zum Verwaltungsvorschlag eingeladen werden sollten. Lobbyismus kann eben auch sehr handfest sein. 

Das besondere Highlight aber war, dass der Kostendeckel nunmehr auf 56 Millionen reduziert wurde. Man brauche weniger Stellplätze, so die Argumentation. Nach der zuvor schon politisch gewürfelten Summe nun also eine neue. 

Sinn hatte das nicht – denn die Stadt wollte ja von den Stadtwerken mieten. Viel zielführender wäre also eine Steuerung über die angestrebte Miete pro Quadratmeter gewesen. Und noch besser wäre gewesen, diese ins Verhältnis zu den bestehenden Mietverträgen für externe Anmietungen zu setzen – aber das war nun mal nicht gewollt. Daher konzentrierte man sich lieber auf eine abstrakte Investitionssumme, an der man bei jedem Beschluss wieder etwas herumschraubte. 

  1. Fehler: Die Sache mit den Gebäudeleitlinien und der Umsatzsteuer

Gleichzeitig aber nahm man eine weitere Änderung vor: Statt die bisherigen Leitlinien für den Bau städtischer Gebäude anzuwenden, sollten es nun die gerade politisch beschlossenen von 2020 sein. Das aber bedeutete, dass zum Beispiel nach anderen energetischen Standards gebaut werden sollte, eine Dachbegrünung vorgenommen und Photovoltaik und viele andere Dinge zusätzlich vorgenommen werden sollten. 

Alles sicher sehr sinnvoll – aber Dinge, die Geld kosten. Es sollte sich zeigen, dass die Mehrkosten für diese politisch gewollten Veränderungen 4,1 Millionen betrugen. Obwohl man das hätte wissen müssen, reduzierte man parallel den Kostenrahmen zufällig genau um diese Summe. So macht man in Münster Finanzpolitik: Man beschließt teure Zusatzwünsche und reduziert mit politischem Beschluss gleichzeitig den Kostenrahmen um dieselbe Summe. Selbst mit Grundschulmathematik hätte man sehen können, dass die Rechnung nicht aufgeht.

Und dann war da noch ein Problem, das in Münster grundsätzlich gerne einmal ausgeblendet wird: die Sache mit den Steuern. Der Unterschied zwischen brutto und netto war vielen offenbar nicht so geläufig, und so holte der Fehler vom Anfang die Stadt und die Stadtwerke wieder ein. All die schönen Summen hatten nämlich die Umsatzsteuerpflicht ausgeblendet – bekanntlich schlanke 19 Prozent. 

Im konkreten Fall waren das auf der Basis der nunmehr als Grundlage angenommenen 60 Millionen Investitionskosten eben mal 11,5 Millionen, die man hinzurechnen musste. Dieses Problem hätte natürlich an den Anfang der Betrachtung gehört und nicht in die Phase nach dem Architekturwettbewerb. 

Hier rächte es sich, dass die beiden ausscheidenden Herren ihr Ding gemacht hatten und Alternativen nicht geprüft worden waren. Deswegen wäre es so wichtig gewesen, die alternativen Errichtungsmodelle in allen Aspekten einander gegenüberzustellen. Aber das war ja nicht passiert – und so kam nun die Überraschung: Umsatzsteuer auch noch.

Dann kam der Krieg in der Ukraine, und mit ihm verschärfte sich in die Inflation. Schon zuvor hatten die Baupreise immer stärker angezogen als die allgemeinen Lebenshaltungskosten, aber nun sorgten die Lieferkettenprobleme für eine regelrechte Explosion, die derzeit nicht nur in Münster viele Bauvorhaben scheitern lässt. 

Für das Projekt Stadthaus 4 bedeutete das, dass schon für einen nicht zu realisierenden Termin im Frühjahr 2022 mit 13,5 Millionen Steigerung zu rechnen war (brutto übrigens) – und dass natürlich bis zu einer angenommenen Fertigstellung des Baus noch weitere erhebliche Steigerungen eintreten würden, nämlich auf bis zu 115 Millionen Euro. 

Das war die erste Kostensteigerung, die tatsächlich auf externe Faktoren zurückzuführen war und nicht auf willkürliche kommunalpolitische Eingriffe und fachliche Inkompetenz. Und sie sollte zum Moratorium führen, das der Rat am 7. September beschlossen hat. 

  1. Fehler: Niemand will schuld gewesen sein

Die Verwaltung zog also selbst die Notbremse und schlug das Moratorium für den Bau vor. Das Geschrei war groß über die monströsen Kostensteigerungen, aber die Kostenexplosionen durch Krieg und Inflation waren eine gesichtswahrende Argumentation. 

Die erste politische Stellungnahme kam von einer Seite, der man nach der Vorgeschichte eher zu betretenem Schweigen geraten hätte, nämlich von der CDU. Die Fraktion ließ sich mit dem Hinweis vernehmen, vielleicht brauche man dieses Stadthaus 4 ja sowieso gar nicht, weil doch jetzt viel auch im Homeoffice gehe. 

Damit fügte die CDU ihren bemerkenswerten Fehlleistungen eine weitere hinzu. Was sie nämlich zu erwähnen vergaß: In den Jahren von 2014 bis 2022 ist die Zahl der Mitarbeitenden in der Stadtverwaltung von 3.590 (2014) auf 4.837 (2022) gewachsen. 

Rund tausend Köpfe davon sind in jenen fünf Jahren dazugekommen, als die CDU mit den Grünen im Rat die Mehrheit stellte (2015 bis 2020). Sie sind also maßgeblich von der CDU mitbeschlossen und zu einem nicht unbeträchtlichen Teil selbst beantragt worden. 

Offenbar ist es überraschend für die Union, dass über tausend zusätzliche Menschen auch Arbeitsplätze brauchen. Die Lösung für das staunende Publikum, die man nun anbietet, ist: Macht das doch bitte alle mal von zuhause aus. So macht die CDU, maßgeblich verantwortlich für das Planungsdesaster, sich jetzt wieder einen schlanken Fuß: Stadthaus 4 – gar nicht nötig. So tönte es denn auch in der Ratssitzung: Alles sei wichtiger als ein neues Stadthaus (Musik-Campus, Stadion). Und da war man dann zum ersten Mal ehrlich. 

  1. Fehler: die Münster-Lösung: Es bleibt alles wie es ist, und die richtigen Leute verdienen das Geld

Denn was nun kommt, ist die Münster-Lösung: Es passiert nichts. Das Moratorium wird sicher auslaufen, und man wird feststellen: Billiger ist es nicht geworden. Monströse 8,3 Millionen Euro Planungskosten für nichts, aber der städtische Etat entlastet die Stadtwerke gerne davon. 

Und am Ende kommt es wie immer in Münster. Es bleibt alles, wie es ist. Es gibt kein neues Stadthaus. Dafür mietet die Stadt weiter für sportliche Mietpreise immer mehr fremde Büroimmobilien an, um die nötigen Arbeitsplätze zu schaffen. Und dann ist auch alles gut: Das Geld der Stadt fließt verlässlich in die richtigen Taschen. Wo kämen wir hin, wenn die Stadt am Ende eigene Büroimmobilien bauen würde? Wäre schlecht fürs Geschäft. Das weiß auch die CDU. Die hat das Ohr auf dem Gleis an der richtigen Stelle. 

Herzliche Grüße

Ihr Michael Jung

 

Über den Autor

Michael Jung lebt schon immer in Münster. Er wurde 1976 hier geboren. Er hat an der Uni Münster Latein und Geschichte studiert und in Geschichte promoviert. Heute ist er Lehrer am Annette-Gymnasium in Münster. Michael Jung war viele Jahre in der Politik: Von 2013 bis 2020 war er Fraktionschef der SPD im Rat der Stadt, im Jahr 2020 trat er für die SPD bei den Kommunalwahlen als Oberbürgermeisterkandidat an.